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Reisebreicht Dr. Peter Schwidtal Eritrea Herbst 2016

Mittwoch, 26.10.16

Meine Reisevorbereitungen waren von Hektik gekennzeichnet. So viele Sachen als Gepäckesel mitzuschleppen, so viele Telefonate in letzter Sekunde. Etwas atemlos erscheine ich in Soest am Bahnhof. Durch allerlei hin und her bei Qatar-Airways müssen wir diesmal abends ab Berlin fliegen. Waren das noch Zeiten, als wir in Paderborn einen Zubringer zur Lufthansa in Frankfurt hatten. Wir warten auf den Regionalzug nach Hamm, als ich von irgendwo das Stichwort „Pass“ aufschnappe. Wo ist eigentlich dein eigener? Daheim in der Schublade. Vergessen! Wie dämlich ist das denn. Hab ich glatt meinen Pass daheimgelassen. Ich ärgere mich über mich selbst und überlege Strategien. In Asmara würde ich nach ein paar Debatten auch ohne Pass reinkommen, aber in Berlin würden sie mich erst gar nicht losfliegen lasse und ich komme letztlich eine Stunde später in Berlin an. Passt noch. Ein etwas holpriger Starten. Glücklicherweise kann mich Bärbel Schräder fix nach Hause fahren und ich komme letztlich eine Stunde später in Berlin an. Passt noch. Ein etwas holpriger Start.

Donnerstag, 27.10.16 I

In Asmara kommen wir durch die Qatar-Turbulenzen jetzt erst mittags an. Mist. Schon ein halber Tag verloren. Das Hotel ist überbucht. Ein Teil der Gruppe muss in die Kellerräume ziehen, ein anderer ins nebenan gelegene Hamasien-Hotel. Der bröckelnde Charme des letzten Jahrhunderts. Das Haus ist knapp 100 Jahre alt. Herrschaftliche hohe und weit ausladende Räume, aber mit etwas Renovierungsstau der letzten 50 Jahre.

Achim, unser Architekt, sieht das Haus aus ganz eigener Perspektive. Sicher auch ein Bauobjekt, welches in Kürze zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen wird. 2018 soll es wohl so weit sein.

Ich habe sogleich genug zu tun, um alles für die große Gruppe zu organisieren. Wir sind wohl derzeit 50 Mitarbeiter von Archemed hier vor Ort. Hinzu kommen fünf Techniker und IT-Experten aus Luxemburg für unser Satellitenprojekt und fünf Mitglieder des Erlanger Vereins, der die Endoskopie in Eritrea maßgeblich vorantreiben möchte.

Zunächst geht es um die obligatorischen Travel-Permits für die diversen Reisegruppen. Insbesondere für unser Team, welches weit in den Westen nach Barentu fährt, um hier das Projekt gegen die Beschneidung der Mädchen (FGM = female genital mutilation) weiter voranzutreiben. Sie wollen schon morgen früh um 5:00 Uhr starten. Geschlagene vier Stunden sitze ich in einem Office, um die Papiere zu erhalten. Es ist zum Haare raufen. Die gleichen Reisepapiere für die EU-Kommissionsmitglieder sind letztlich überhaupt nicht zu bekommen, da es hier ein Kompetenzwirrwarr um die Frage der Zuständigkeit der eritreischen Behörden gibt. Außenministerium, National Development, Gesundheitsministerium? Man kann sich nicht einigen und die Zeit verrinnt. Bis abends um 22:00 Uhr ist es noch nicht entschieden und letztlich müssen die Vertreter der EU, die das Projekt ja finanziert, zu Hause bleiben.

Ich bin empört. Diese eritreische Bürokratie. Dieser sinnlose Papierkram für die Security. Sie stehen sich hier gnadenlos selber im Wege. Wie sagte der verstorbene Gesundheitsminister Saleh Meky:

You are physicians, friends of our people, no spies.

Ja, würde sich diese Erkenntnis doch mal weiter durchsetzen können.

Der Tag ist gelaufen und ich bin geschafft. Wie gut, dass im schönen Embasoira-Hotel so viele nette Menschen auf mich warten. Und es dort ein leckeres süffiges Bier zum Abspannen gibt: Melotti, oder Asmara-Beer, wie es heute heißt.

Freitag, 28.10.16

Weiter geht es mit Papierkram. Diesmal für unsere Ausflugsgruppe nach Qohaito. Eine antike Stadt, ca. 2500 Jahre alt. Früher ein Handelsplatz für Marmor, Elfenbein und Gold. Gelegen zwischen der antiken Hafenstadt Adulis und dem legendären Königreich von Aksum. Unsere Kollegen und unsere Gäste, so der Parteichef Yemane, sollen ja nicht nur kommen, um hier zu arbeiten, sie sollen ja auch mal Luft holen und etwas sehen von diesem schönen Land mit seinen antiken Schätzen. Qohaito ist eine verschüttete Stadt.

Der Leiter des archäologischen Nationalmuseums von Asmara, Dr. Libsekal, beschreibt es als ein riesiges archäologisches Areal mit 98 Fundstellen, welches auf seine Ausgrabung als Ganzes wartet. Vor einigen Jahren waren deutsche Professoren von der Humboldt-Universität in Berlin (Prof. Wenig) bereits vor Ort, aber es fehlten letztlich die Mittel zur Ausgrabung. Was wäre dies für ein Projekt. Mir mutet es an wie ein afrikanisches Troja, welches auf seine Entdeckung wartet. Berlin, das Außenministerium als Dienstherr der Archäologen, wäre hier gefragt. Angeblich solle die Geschichte Ostafrikas neu zu schreiben sein, wenn hier diese Schätze, ein Weltkulturerbe, geborgen würden. Mir juckt es in den Fingern und wie gerne würde ich Berlin von diesem Schatz überzeugen, der hier vor uns liegt und auf seine Bergung nur wartet.

Nach Erledigung des lästigen Papierkrams habe ich die Ehre den eritreischen Außenminister besuchen zu können. Minister Osman Saleh ist inzwischen ein alter Bekannter für mich. Ein liebenswerter Mann, mit dem ich mich gut verstehe und offen reden kann. Ich freue mich über das Wiedersehen in seinen repräsentativen Amtsräumen und komme nach kurzer Zeit bereits zum Kern des Treffens: Die Visabeschaffung ist äußerst mühselig für unsere großen Teams. Kostet viel Zeit und Nerven, wenn seit Monaten die Reise geplant ist, aber am Vorabend der Reise der Pass immer noch nicht zurückgeschickt wurde.

Vor Jahren mussten wir mal am Abflugmorgen das Hauptpostamt von St. Augustin umgraben, um dort den Pass noch auf die Schnelle zu finden. Und letztens mussten wegen dieser Passschwierigkeiten auch Kollegen daheim bleiben. Das geht so nicht, befindet der Minister. Ich werde euch helfen! Gesagt getan.

Der Minister nimmt die Sache in die Hand. So umständlich die eritreische Bürokratie einerseits ist, so oft fi nde ich dann doch wieder offene Ohren und direkte pragmatische Hilfe. Die Regierungsmitglieder sind für mich sehr nahbar, jederzeit ansprechbar und hilfsbereit. Ich bin Osman ausgesprochen dankbar für seine Unterstützung.

Mittags besuche ich den Workshop der Erlanger Gastroenterologen. Es sind Endoskopie-Spezialisten der Universität Erlangen, die seit vielen Jahren versuchen dieses Spezialgebiet der Inneren Medizin hier in Asmara weiter zu etablieren. Warum hier so lange Widerstand gegen ihre Hilfe bestand, habe ich nie verstanden. Erst im März konnte ich die Gesundheitsministerin davon überzeugen, dass diese Gruppe unter unserem Schirm von Archemed nach Eritrea mitkommt. Wohl 15 eritreische Ärzte befi nden sich zusammen mit den vier deutschen Kollegen im Konferenzraum und üben Magen- und Darmspiegelungen.

Die Erlanger Kollegen haben Schweinemägen und Därme mitgebracht, um möglichst realistische Untersuchungsbedingungen für die Spiegelung, Biopsien und Blutungsstillung zu schaffen. Bei der simulierten Blutung wird über einen Schlauch rote Flüssigkeit durch die Magenwand gepumpt. Sieht von innen durch das Endoskop betrachtet verflixt realistisch aus. Die eritreischen Kollegen sind begeistert und gehen mit großem Interesse und Akribie ans Werk. Fünf Tage läuft die Veranstaltung. Mit großem Erfolg. Der sehr engagierte und kompetente Kollege Dr. Negassie aus dem Orotta-Krankenhaus hat sogar für die Zukunft größere Räumlichkeiten für eine eigene Endoskopie-Abteilung auftun können. Diese wird in die ehemalige Physiotherapieräume einziehen und somit über ausreichend Platz verfügen. Mit unserem Architekt Achim Glahn zusammen überlegen wir hier die nächsten Schritte. Ein weiterer großer Sprung nach vorne für die Medizin in Eritrea. Ein schöner Erfolg dieser Reise.

Samstag, 29.10.16

Der große Moment ist gekommen. Roberto, Chef des Luxemburger Satelliten-Teams „Satmed“ hat in die IT Conference-Hall des Orotta-Hospitals geladen, um allen anwesenden Ärzten und Technikern die Grundzüge des neuen Projektes zu erklären. Finanziert vom Außenministerium Luxemburgs sowie technisch ausgearbeitet und begleitet von der Firma SES aus Luxemburg verfügt das Krankenhaus nun über eine Satelliten-Antenne, die für vielfache Zwecke verwendbar ist: Die Kollegen können nun aus Asmara ihre Gewebsschnitte von Operationen an die Pathologie in Potsdam, zu Prof. Hartmut Lobeck senden. Eritrea verfügt nämlich über keinen eigenen Pathologen. So können deutsche Professoren ihren Kollegen in Asmara mitteilen: Der Tumor ist gutartig oder er ist leider bösartig. Hier hilft Bestrahlung oder Chemotherapie. Oder es ist ganz etwas anderes, Tuberkulose zum Beispiel.

Weiterhin werden die einheimischen Kollegen demnächst ihre Kernspin-Bilder an deutsche Uni- Kliniken schicken können. Einen Radiologen der diese Bilder hier in Eritrea befunden kann, gibt es auch nicht. Beides wird die medizinische Versorgung der Menschen in Eritrea in diesen Punkten entscheidend verbessern, genau wie die verbesserte Endoskopie. Mit dem Satellitenprogramm können aber auch Vorlesungen aus der Charité in Berlin oder der Uni Bonn direkt zu den Medizinstudenten oder angehenden Fachärzten in Asmara übertragen werden. Die eritreischen Ärzte verfügen zukünftig nicht nur über einen schnellen Internetzugang für ihre Arbeit, sondern auch Zugang zu internationalen Bibliotheken. Zu Büchern und aktuellen Fachzeitschriften, die sie sonst niemals hätten. Unsere Ärzte, die in Eritrea arbeiten und ausbilden, können dann wenn sie wieder daheim sind ganzjährig mit ihren Kollegen in Eritrea kommunizieren, Falldiskussionen führen, fachlichen Austausch pflegen. Und so weiter.

Dies geniale medizinische Satellitenprogramm, mitkonzipiert von unserem Freund und Berliner Kinderkardiologen Titus Kühne, ist ein Quantensprung für die Medizin in Eritrea. Roberto gibt uns einen Überblick über all die Möglichkeiten des Programms. Die jungen eritreischen Kollegen sind sehr angetan. Sie, die Jüngeren, sie werden es hauptsächlich nutzen. Es ist dem Dekan der Orotta School of Medicine, Dr. Haile Mehtsun, zu verdanken, dass die Anlage installiert werden konnte. Denn auch hier gab es erheblich Widerstände zu überwinden. Ein dreijähriger Kampf gegen die Institutionen. Mit dem heutigen Tag erfolgreich durchgefochten.

Nun muss das System auch tagtäglich genutzt werden. Ich bin sehr glücklich über diesen Moment. Abends kommen meine Stellvertreterin Anne Rieden, ihre Mitstreiterin Antje Thomas von der Uni Bonn, der pensionierte Journalist Kurt Gerhardt (WDR-Mittagsmagazin), unsere neue Geschäftsführerin Cordula Hölting mit ihrem Sohn Christian, Kameramann Kai Gebel und ein paar weitere Freunde von der anstrengenden Tour aus Barentu zurück. Dort haben sie einen Workshop zum Thema FGM (female genital mutilation), die traditionelle Beschneidung der Mädchen, zusammen mit der Gewerkschaftsbewegung Eritreas durchgeführt.

Kai hat wieder wunderschöne Bilder von der Landschaft und den Menschen gemacht. Sein Auge ist bewundernswert. Erste Bilder sind unter http://www. two-little-designers.com/Eritrea2016/ zu sehen.

Lilli Ladurner, Tochter des „ZEIT“-Journalisten Ulli Ladurner, der letzten Herbst mit uns das Land bereiste und den ersten Artikel in einer der großen deutschen Zeitungen veröffentlichte, der das Land einmal differenzierter betrachtete, Lilli protokolliert diese Versammlung, die mittels eines EUProjektes möglich wurde. Lilli spricht fließend Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch. Beneidenswert!

Mithilfe eines solarbetriebenen Beamers, den die Memminger Firma Phaesun für uns konzipiert hat, zeigen sie den Abgesandten der einzelnen Dörfer, den Vertretern der Frauen- und Jugendorganisation, der Kirchen und Moscheen sowie den Dorfältesten den eritreischen Film „Behind the curtains of agony“. Dieser unglaublich grausame Film, der für uns kaum zu ertragen ist, zeigt die reale Beschneidung von drei Mädchen. Er ist so grausam. Aber genau so ist die Realität.

Manche Menschen müssen die Augen verbergen, fangen an zu weinen oder müssen den Raum verlassen. Anschließend wird darüber gesprochen. Unter den Eritreern. Zusammen mit unserer Projektkoordinatorin Worku. Eine kleine, aber sehr taffe Frau. Besonders berührt sind meist auch die Männer, die bei der Beschneidung selbst nie zugegen sind. Natürlich kennen sie den Endzustand der Beschneidung und manch einer begrüßt die „Zügelung“ der weiblichen Sexualität, aber vom Ausmaß der Brutalität der Beschneidung sind sie alle überrascht, manche konsterniert. „Hätte ich das gewusst, ich hätte meine Tochter doch niemals beschneiden lassen.“

Es sind vor allem die alten Frauen, die an der Beschneidung festhalten. Weil es schon immer so war und die Mädchen nur so, „rein“, verheiratet werden können. Es ist sehr sehr mühsam eine 3.000 jährige Tradition zu durchbrechen. Aber jedes Mädchen, dem dieses grausame Schicksal erspart wird, zählt. Anne und Antje sind platt, geschafft. Aber glücklich. Es war ein gelungener Workshop, bei dem die beteiligten Eritreer aus sich herausgekommen sind und miteinander diskutierten. Das ist bemerkenswert bei dem an sich völlig tabuisierten Thema. Obwohl dieses Projekt mit der EU im März auslaufen wird, wollen wir versuchen es zusammen mit Worku fortzuführen. Jedes Mädchen zählt!

Sonntag, 30.10.16

Einige von uns gehen gemeinsam in die katholische Kathedrale. Italienischer Gottesdienst. Als Protestant verstehe ich nicht sehr viel von der Zeremonie und Italienisch kann ich leider auch nicht. Trotzdem ist es ein erhabenes Gefühl diesem Gottesdienst beizuwohnen. Die Kirche ist voll. Vor allem der Chorgesang beeindruckt mich enorm. Schön, auch in so weiter Ferne diese Gemeinschaft der Christen mitzuerleben. Weini, Sekretärin des Parteichefs Yemane und zugleich Ehefrau des Bauministers Abraha, hat mich zu sich nach Hause zum Mittagessen eingeladen. Ich solle doch ein paar Freunde mitbringen.

Das große Herzteam von Andreas Urban arbeitet das Wochenende durch. Die Kinderärzte und Schwestern in Keren sind ebenso aktiv. Viele unserer Freunde und Kollegen haben sich zum Sonntagsausfl ug nach Qohaito begeben. Bleiben Thomas Dirksen, Kinder- und Jugend-Psychiater, der unser sozialpädiatrisches Projekt so erfolgreich leitet, Cordula Hölting, unsere neue Geschäftsführerin von Archemed, und Achim Glahn, unser Berliner Architekt, die mich begleiten. Weini und ihr Mann Abraha, Minister of Public Works, leben ein nach unseren Maßstäben ganz normales bürgerliches Leben. Sie bewohnen ein eingeschossiges mittelgroßes Haus in der Nähe der Klinik, fußläufi g zum Ministerium gelegen. Weini hat selbst gekocht, alles was die Küche hergibt. Auch Lamm und Ziege, die sonst wegen des mitunter strengen Geschmacks nicht unbedingt auf meinem Speisezettel stehen. Aber sie hat beides so zart und lecker zubereitet: köstlich! Weini meint es zu gut mit uns. Auch noch zwei Sorten Pasta und Gemüse, leckere Papaya zum Schluss und Kaffee. Wahnsinnig großzügige und herzliche Gastfreundschaft. Es ist schon ein sehr sehr herzliches Verhältnis zueinander. Achim und ich gehen gut genudelt von Weinis Mittagstisch direkt ins Orotta-Hospital. In unser OP-Zentrum. Es geht um die Konzeption einer Wasserfi ltrationsanlage, die den neu renovierten Steri-Raum versorgen soll. Das Stadtwasser enthält zu viele Schwebstoffe. Über einen Kiesfilter sollen diese herausgefiltert werden. Im Anschluss wird das Wasser einen osmotischen Filtrationsprozess durchlaufen. Wasser-Ingenieure der Uni Kassel haben ein System entwickelt, welches bakteriell belastetes Wasser in kurzer Zeit soweit säubert, dass es als Trinkwasser zu verwenden wäre. Dieses derart vorgereinigte Wasser kann dann aus einer unterirdischen Zisterne in das OPZentrum gepumpt werden. Nur so besteht die Gewähr, dass der neue empfindliche Steri und die Miele-Instrumentenwaschmaschinen nicht Schaden leiden und ihren Dienst damit auch dauerhaft versehen werden. Abends kommen die Besucher aus Qohaito zurück. Jede Fahrtstrecke hat vier Stunden benötigt. Mehr als acht Stunden im Pick-up. Sie sind gar, fertig. Hungrig und durstig. Aber glücklich. Diese Ruinen und das was man unter der Erde erahnen kann, haben die Strapazen gelohnt. Eine alte Staumauer mit riesigen Steinquadern ist zu sehen sowie ein über 2.000 Jahre altes Felsgrab, in welches man hinunterkrabbeln kann. Die Königin von Saba soll hier ein Badehaus gehabt haben. Ist das alles spannend. Was würde ich dort gerne selber buddeln. Und eine halbe Stunde entfernt finden sich in einer Schlucht 6.000 – 7.000 Jahre alte prähistorische Felsmalereien mit Jägern, Löwen und Elefanten. Unglaublich eindrucksvoll. Hat mich demütig gemacht, als ich vor zwei Jahren selbst davorstand. Montag, 31.10.16 Keren ist angesagt. Eine zweistündige Fahrt mit dem Bus. Zunächst eine Stunde noch im Hochland, entlang der Felder und einiger kleinerer Stauseen. Dann eine Stunde die Serpentinen hinab in die 1.000 Meter tiefer gelegene Provinz Anseba, dessen Provinzhauptstadt Keren wir am späten Vormittag erreichen.

Zunächst setzen wir unseren Schreinermeister Reinhard Berns im Dorf Doroq ab, der die von ihm vor Jahren gespendeten Schultafeln an der Bruchsteinwand neu fixieren möchte.

Deren angekommen zieht es mich sofort auf die große Baustelle für unsere neue Mutter-Kind Klinik. Es ist schon imposant zu sehen, wie groß das bebaute Areal ist und wie hoch der Bereich der Neugeborenen-Intensivstation aus dem Gelände herausragt.

Drittel der Klinik hat bereits das Ständerwerk für die Aufnahme des Daches erhalten. Aber genau an dieser Stelle hakt es jetzt leider furchtbar. Es fehlt das weitere Material für die Stahlkonstruktion und das gesamte Dachmaterial ohnehin. Die feste Zusage: „Im September ist das Dach drauf“, ist leider geplatzt. Damit auch unser fertig konzipierter großer Handwerkereinsatz mit 20 Technikern für die Grundinstallation von Elektrik, Sanitär und Sauerstoff-Anlage. Alle hatten sich von ihren Betrieben beurlauben lassen, die Materialcontainer waren rechtzeitig vor Ort und auch die Flüge waren bereits gebucht. Und dann die bittere Absage. Die Frustration bei allen Beteiligten war und ist groß. Aber was sollen oder können wir tun? Nichts. Geduldig zusehen, wie die Baumaßnahme weitergeht und neu planen für Anfang 2017.

Das Dachmaterial muss in Dubai besorgt werden. Für harte Devisen. Auch die sind immer knapp in Eritrea. An den Männern, die vor Ort in Keren arbeiten, liegt es nicht. Ingenieur Gezzai leistet hervorragende Arbeit. Architekt Achim und ich besprechen das weitere Vorgehen mit ihm, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht. Es geht zwar schleppend voran und immer wieder hakt es, aber: es geht voran.

Wir geben die Hoffnung nicht auf. Mit uns sind Karl Kastien als Technischer Leiter und Atze Möhring als Elektro-Ingenieur mit vor Ort. Sie bleiben eine Woche in Keren, um am Bau zumindest im Elektrobereich schon einiges für die Zuleitungen zu regeln. Zusätzlich sind die beiden Kinderärzte Rainer Uhlig und Anke Wendt mit zwei Schwestern für Neugeborenen-Intensivmedizin, Heike Heinicke und Birgitt Hennig, vor Ort.

Sie trainieren das einheimische Personal seit nunmehr sechs Jahren, damit das neue Krankenhaus sofort die Arbeit mit qualifiziertem Personal wird aufnehmen können. Ich hoffe nunmehr, dass es zum Ende des nächsten Jahres soweit sein wird und wir dann Einweihung feiern zu können.

Nach dem Krankenhaus besuchen wir den Sitz des katholischen Bischofs in Keren. Abba Uqbagaber empfängt uns und wir sprechen lange über unser neues gemeinsames Projekt: die Renovierung und Erweiterung einer Grundschule im 7 km entfernten Dorf Doroq, die während des Krieges von äthiopischen Soldaten zerstört wurde. Die bestehenden Räume sind zu klein für die vielen Kinder, zu dunkel, der Boden kaputt. Auch Sanitärräume und ein Lehrerzimmer fehlen. Die katholische Kirche Doroqs hat das Bauvorhaben mit eigenen Architekten fertig konzipiert und durchgerechnet. Leider ist uns noch während dieser Reise der Sponsor, der an sich auf uns zugekommen war und eine Schule in Eritrea mit uns bauen wollte, kurzfristig abgesprungen. Warum? Die Erklärungen wollen mir nicht so recht einleuchten.

Aber es ist, wie es ist. Wir müssen neu planen. Wer sich humanitär engagiert und in einem stetig wachsenden Verein mit immer mehr Projekten zurechtkommen will, der muss auch so manchen Frust wegstecken können. Finanzielle Probleme, persönliche Reibereien, Streit und Enttäuschungen. Das alles gehört dazu. Wie in den besten Familien. Glücklicherweise ist all dies aber bei uns recht selten. Es herrscht überwiegend Harmonie und ein großartiger Spirit: für das Projekt, für die Mütter und Kinder in Eritrea. Es fällt schwer, den maßlos enttäuschten Dorfpfarrer Dawit wieder aufzubauen. Abba Uqba nimmt es professioneller. Er hat bestimmt schon so manchen Frust wegstecken müssen. Wegen so einer, wenn auch großen, Enttäuschung stecken wir doch den Kopf nicht in den Sand.

Blick nach vorn. Alternativen müssen her. Wer könnte bei der Finanzierung helfen? Rotary-Clubs? Die Sternsinger aus Bonn? Das BMZ?

Wir müssen alles abklopfen und verteilen die Rollen. Antonia Schräder, Gymnasiastin aus Soest und Tochter unseres Kinder-Orthopäden und Vorstandskollegen Christoph hat eigene Ideen: eine Schul-Partnerschaft zwischen ihrem Aldegrever-Gymnasium in Soest und der Schule in Doroq. Die Miene von Pfarrer Dawit hellt sich langsam wieder auf. Na klar, es geht weiter. Irgendwie stellen wir da was auf die Beine. Damit Antonia auch noch einen Eindruck vom Dorf und der Schule bekommt, fahren wir auf dem Rückweg schnell dort vorbei. Kaum sind wir mit dem Bus auf dem Platz vor der Schule angekommen, werden wir auch schon von Kinderhorden umzingelt. Einerseits macht es so viel Freude mit den Kindern zu spielen, obwohl keiner den anderen versteht. Der uns erneut begleitende SPD Bundestags-Abgeordnete Jürgen Coße macht „La-Ola“ mit den Kindern und die Begeisterung ist groß. Andererseits muss man immer sehr gut aufpassen, dass die Situation nicht eskaliert und kippt.

Über 100 tobende eritreische Kinder sind dann kaum mehr zu bändigen. Die haben so viel Feuer und Energie, das wird dann auch mal brenzlig. Zufrieden fahren wir wieder hinauf ins Hochland.

Die Sonne geht malerisch unter und es wird Nacht auf den Straßen. Nicht ganz ungefährlich, bei so viel Viehzeug, Fußgängern und völlig unbeleuchteten Fahrrädern. Aber Bereket ist ein gute Busfahrer und bringt uns sicher wieder heim in unser Embasoira-Hotel. I

ch freu mich wieder auf ein leckeres Melotti-Bier und eine vegetarische Pizza. Beim Fleisch weiß man leider nie, wie viele Stromausfälle es schon im Kühlschrank überdauert hat. Deshalb bin ich immer ein wenig vorsichtig, denn Durchfall muss ich in den paar schönen Tagen, die ich hier habe, nicht unbedingt bekommen. Beim Essen haben wir immer eine lange Tafel. Jeder erzählt von seinen Erlebnissen und neue Pläne werden geboren.

Thomas Dirksen hat ein Klavier per Container ins Hotel geschickt. Er spielt zusammen mit einem jungen, großen eritreischen Talent: Noel Wunderschön. Unsere Arbeit, unsere Projekte in Eritrea, sie haben so viele schöne Facetten. Jedes Mal kommt eine neue hinzu.

Dienstag, 01.11.16

Morgens früh habe ich zusammen mit Kurt Gerhardt einen Termin bei Minister Dr. Ghergis, Ministry of National Development. Ich habe ihn bislang erst einmal kurz gesehen beim Besuch unseres Ministers Dr. Müller vergangenen Dezember. Es wird ein über zweistündiges, sehr nettes Gespräch. Minister Ghergis hat fünf Jahre lang an der FU in Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert und dort auch promoviert. Er liest weiter deutsche Bücher und Fachliteratur. Versteht unsere Sprache perfekt. Deutsch, wo man es nicht unbedingt erwartet hätte.

Minister Ghergis ist auch Mitglied der deutsch-eritreischen Regierungskommission, die sich seit Minister Müllers Besuch regelmäßig trifft. Ich bin Minister Müller so dankbar, dass er gegen alle Widerstände den Anfang gemacht hat und nach Asmara gereist ist. Anerkennung für einen Eritreabesuch ist für einen Politiker in Deutschland sicher nicht zu erwarten. Wir reden über zwei Stunden mit Minister Ghergis. Ein sehr angenehmes und offenes Gespräch.

Kurt Gerhardt hätte zwei Unternehmer aus dem Landwirtschaftsbereich an der Hand, die Interesse an Projekten in Eritrea hätten. Das Thema kann aber nicht vertieft werden, weil der Landwirtschafts-Minister momentan außer Landes ist. Es wird für mich immer wieder deutlich, dass der Staat Eritrea einerseits sehr gut bis hinab ins letzte Dorf organisiert ist, dass andererseits diese strenge Organisation und Hierarchie nach meinem Eindruck aber auch lähmend ist. Entschieden wird nämlich immer von oben. Häufig vom Minister. Dies lähmt die Arbeits-Ebenen darunter. Weil sie nicht frei arbeiten und entscheiden können.

Die Bürokratie in Eritrea empfinde ich als überdimensioniert und als Hemmschuh. Wo sind die jungen, gut ausgebildeten Menschen in der Regierungsverantwortung? Ich kenne so viele pfiffige, gut ausgebildete und engagierte Eritreer. Auch hier in Deutschland. Nardos, die die Apotheke für Onkologie in der Uni Münster leitet. Dr. Nardos Hölscher. Auch sie hat hier promoviert. Oder Selam, die jetzt gerade ihr Medizinstudium in Kiel mit der Note 1,0 abgeschlossen hat.

Sportler, wie Girmay Ghebreselassie, der gerade den New York Marathon gewonnen hat. Die Fachleute, die in Deutschland mit Flüchtlingen und ihrer Integration zu haben, sie alle beschreiben unisono ihre guten Erfahrungen mit jungen Eritreern. Zum Beispiel bei den Deutschkursen. Die Eritreer wollen lernen, sind hochmotiviert, sie kommen pünktlich, sie sind höflich und korrekt. Ganz anders als Flüchtlinge aus West-Afrika und dem Maghreb, wird mir erzählt. Was hätte dieses kleine Land dank seiner Menschen für ein großes Potential. Dies gilt es zu fördern. Es wäre so viel sinnvoller und effektiver, preiswerter obendrein, als jede Flüchtlingsarbeit hier.

Nachmittags haben wir noch ein Treffen mit Director Berhane vom Gesundheitsministerium, Director Goitom und Dr. Habteab zu diversen Themen. Die Gesundheitsministerin ist erneut verhindert. Auch hier gilt das zuvor Gesagte: die Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene funktioniert gut, aber obwohl sie hochrangige Mitarbeiter und Abteilungsleiter sind, dürfen sie häufig nicht entscheiden. Wir sprechen über das wachsende Projekt der Sozial-Pädiatrie (Thomas Dirksen), die Kinder-Orthopädie (Christoph Schräder) und die Ausbildung der Physiotherapeuten (Renate Kropp-Olbertz).

Renate war früher Direktorin der Physiotherapieschule an der Uni Düsseldorf und arbeitet dieses Mal zusammen mit Angela Schulze Wiehenbrauk mit Bobath und Voyta Techniken vor allem für die zahlreichen hirngeschädigten Kinder. Cerebralparesen, Folgen eines unter der Geburt erlittenen Sauerstoffmangels, finden sich leider so häufig bei eritreischen Kindern. Folgen und Probleme resultieren daraus für das ganze Leben. Dies zu verhindern ist unser primäres Ziel. Durch eine sichere Geburt in den Kliniken. Aber die Frauen kommen nur dorthin und verlassen die alte Tradition der Geburt im Kreise der Familie in der heimischen Hütte, wenn sie davon überzeugt sind, dass das Krankenhaus auch gut arbeitet.

Deshalb ist unsere Arbeit in den Provinzkliniken so wichtig. Vier haben wir bereits unter unseren Fittichen: Keren, Mendefera, Barentu und Ghinda. Weitere werden folgen. Bis vor kurzem entbanden nur 20 % der eritreischen Frauen in der Klinik. 80 % in der Hütte, ohne jegliche professionelle Hilfe. Häufi g verlaufen die Geburten lange und nicht selten mit Komplikationen. Ein Grund dafür ist die Beschneidung der Frauen. Beim letzten Zensus 2002 waren noch 90 % der Frauen beschnitten! Wenn die Beschneidung in Form der Infibulation, der pharaonischen Beschneidung, durchgeführt wurde, vernarbt das Dammgewebe mit jeder Geburt ein wenig mehr. Und dies führt dann zu den verlängerten Geburten, Geburtsstillständen, Blutungen bei den Müttern und Sauerstoffmangelzuständen bei den Kindern.

Hier setzt unsere Arbeit gleich an mehreren Punkten an:
Schaffen kompetenter Kliniken draußen in den Provinzen; für die Schwangeren, aber auch für die Neugeborenen. Reduktion, am liebsten noch Abschaffung der Beschneidung. Der Staat hat es 2007 per Gesetz verboten! Und zuletzt dann die kompetente Betreuung für die Kinder, die leider Hirnschäden erlitten. Durch unser Projekt der Sozial-Pädiatrie, Kinder-Orthopädie und Physiotherapie. All dies wollen wir im nächsten Jahr auf der von uns renovierten Station (Ward F) in der alten Kinderklinik in Asmara vorantreiben. Berhane, Goitom und Habteab geben uns grünes Licht. Die Arbeit kann beginnen.

Bei einem Projekt sind sie allerdings nicht autorisiert zu entscheiden: Thema Klinik-Partnerschaften. Minister Müller hatte letzten Dezember bei seinem Besuch festgestellt, wie gut die Kooperation zwischen unseren deutschen und den eritreischen Kliniken funktioniert und harmoniert. Wenn solch eine Zusammenarbeit, wir nannten es Klinik-Patenschaft, über viele Jahre läuft, dann kennen sich die beteiligten Kollegen und Schwestern. Der deutsche Kollege weiß, was seinem Partner in Eritrea fehlt. Und der weiß, wer da wiederkommt, was er mitbringt, wie der tickt.

Es entsteht Vertrauen, nicht selten Freundschaften. Ein Verhältnis, welches trägt. Dies hat Minister Müller sich zum Vorbild genommen und hat das Projekt „Klinikpartnerschaften“ kreiert. Am 28. September fand die feierliche Vertragsunterzeichnung zwischen Minister Dr. Gerd Müller und Dr. Carolin Kröner, der sympathischen Vorsitzenden der Else Kröner-Fresenius-Stiftung in der alten Ruine der Charité statt. Die Arbeit von Archemed wurde dabei als „good practice“ vorgestellt. Nun wollen wir diese Projekte zusammen mit dem BMZ auch gerne in Eritrea institutionalisieren. Dazu bedarf es der Unterschriften der jeweiligen Klinik-Direktoren. In Eritrea ist es aber so, dass dieses Papier zunächst von der Ministerin genehmigt und unterzeichnet werden muss. Sie ist aber nicht abkömmlich. Keine Unterschrift. Zunächst. Naja, auch das werden wir noch hinbekommen.

Glücklicherweise genießt die Arche großartige Unterstützung seitens vieler Regierungsmitglieder. Am gleichen Nachmittag folgen noch Gespräche mit dem Bauminister über das Bauprojekt in Keren (Wie geht es weiter, wann ist das Dach drauf?) sowie mit dem Erziehungsminister über eine Projektidee von Kurt Gerhardt und seinem Verein „Makaranta“. Ein Wettbewerb zwischen Schulen. Welche Schule macht den besten Unterricht, hat die engagiertesten Lehrer. Sie soll ausgezeichnet und prämiert werden. Hier ist leider noch kein Durchbruch zu verzeichnen. Aber ich finde es immer wieder erstaunlich, wie unkompliziert die Spitze des Landes für mich zu erreichen ist. Wie offen die Gespräche sind. All meine Kritik, die ja nicht als Abwatschen gedacht ist, sondern von einem Freund des Landes kommt, der sich für die Zukunft der geliebten Menschen interessiert und konstruktiv Probleme ansprechen möchte, findet offene Ohren. Man hört mir zu, auch wenn ich bloß ein kleiner Arzt und keine Berliner Größe bin. Gewachsenes Vertrauen hilft enorm.

Abends im Hotel folgt noch ein Gespräch mit dem engagierten deutschen Botschafter Dr. Andreas Zimmer und dem Abgeordneten Jürgen Coße (MdB). Der Prozess der Annäherung ist schwierig und zäh. Das berühmte Bohren dicker Bretter nach Max Weber. Schön, dass Jürgen Coße (MdB) sich so engagiert und uns zur Seite steht. Er ist in kurzer Zeit zum Eritrea-Experten in Berlin geworden ist. Der Dialog ist letztlich alternativlos, wie es mal jemand anderes formulierte. Gerade wir Deutschen kennen doch den Prozess des Wandels durch Annäherung. Ich wünsche mir mehr Politiker- und Journalistenbesuche, mehr ziviles Engagement in Eritrea, auch im Bereich Sport und Kultur. So wie es im Mai mit dem Besuch der beiden Musikergruppen aus Münster, „Starlight Excess“ und „Reheated“ so hervorragend gelang. Ich würde mich auch über das Engagement der Wirtschaft und des Handwerks freuen, denn Investitionen schaffen Arbeitsplätze und Perspektiven für die Jugend. Aber hierfür muss auch Eritrea den Boden, das Investitionsklima bereiten. Bankwesen, Währung, Rechtsstaatlichkeit, Bürokratie, Visa und Travel-Permits: es sind viele Themen.

Anschließend gibt es noch ein Treffen mit Jörg Gattenlöhner, dem Geschäftsführer des Vereins „kinderherzen“ aus Bonn. Wie können die Vereine zukünftig kooperieren? Welches sind unsere Visionen für eine gemeinsame Zukunft und die weitere Arbeit. Ein großes Kinder-Herzzentrum in Ostafrika! Hört sich alles sehr verheißungsvoll an. Ich freue mich sehr über diese gute Zusammenarbeit.

Thomas spielt wieder am Klavier und nach und nach versammeln sich immer mehr Mitstreiter der Arche um ihn herum und singen gemeinsam zu seinem Klavierspiel. Der neue Hotelmanager ist begeistert, filmt unseren nicht immer ganz so melodischen Auftritt schmunzelnd. Ein schöner Abschluss dieser Reise. Ich reise so gerne mit euch, diesen großartigen engagierten Menschen hierher, sage ich. „Alle bekloppt“, sagt Thomas, der Kinder- und Jugendpsychiater. Wir schmunzeln.

Fazit: Was hat diese Reise gebracht? Zwei große Projekterfolge. Den Aufbau und Start des Satellitenprojektes und den Workshop für Endoskopie. Beide werden großartige Früchte schon in naher Zukunft tragen. Den Durchbruch bei dem umständlichen Visa-Prozess. Außenminister Osman ist überaus hilfsbereit. Letztlich muss der Alltag aber noch erweisen, ob der Durchbruch nachhaltig sein wird.

Große Fortschritte bei den Projekten Sozial-Pädiatrie, Kinder-Orthopädie und Physiotherapie. Ein überaus gelungener Workshop bei unserem FGM-Projekt gegen die Beschneidung der Mädchen, deutliche Fortschritte am Klinik-Neubau in Keren sind zu verzeichnen, ein wunderschönes Schulprojekt in den Startlöchern und eine großartige Vereinskooperation für die Kinderherzchirurgie. Und, das darf bei allem Neuen nicht vergessen werden, ganz viele erfolgreich behandelte Kinder durch unsere Kinderherzchirurgen in Asmara sowie durch fünf unserer pädiatrisch-neonatologische Teams in Asmara, Keren, Barentu, Mendefera und Ghinda, die fast zeitgleich jetzt im Herbst in ihren eritreischen Partner-Kliniken arbeiteten. „ARCHEMED – Ärzte für Kinder in Not“ macht seinem Namen alle Ehre.

Es bleiben aber auch noch Baustellen, wie die beim Klinik-Neubau in Keren oder die leider immer noch brachliegende Facharztausbildung der jungen Ärzte. Es ist ein Jammer, dass der erfolgreiche Ausbildungsbeginn gestoppt wurde und die jungen Kollegen deshalb nun höchst frustriert sind. Und in der Klinik fehlt zunehmend der Nachwuchs. Es bedarf weiterer Verhandlungen, Beharrlichkeit und Optimismus.

Nachspiel: Rückflug um 3:30 Uhr von Asmara mit Turkish-Airlines, Zwischenlandung in Taif, dann Aufenthalt in Istanbul und weiter nach Düsseldorf. So ist es geplant. Eine unchristliche Startzeit. Die Maschine ist aber fast leer, sodass jeder von uns drei Plätze zum Liegen und Schlafen hat. In Taif herrscht aber Nebel. Die Maschine muss bei fehlender elektronischer Anflughilfe zweimal durchstarten und fliegt dann zurück nach Djiddah. Wir stehen dort drei Stunden auf dem Rollfeld, um vielleicht doch noch die 65 wartenden Passagiere in Taif abzuholen. Aber der Nebel bleibt. So fliegen wir mit der leeren Maschine weiter nach Istanbul und schlafen ein wenig weiter auf unseren Liegesitzen.

In Istanbul ist unser Flieger nach Düsseldorf natürlich weg. Naja, warten wir noch ein wenig. In einer Warteschlange vor dem Gate nach Düsseldorf wird es laut. Eine der drei Warteschlangen wird zurückgeschickt. Muss sich neu einreihen. Ein recht typisch aussehender älterer türkischer Mann mit grauem Haar und Schnauzbart dreht sich um und sagt empört: „Meine Fresse!“ Ich muss schmunzeln. Deutschkenntnisse, wo man sie nicht unbedingt erwartet.

Abends kommen wir in Düsseldorf an. Regionalzug vom Flughafen über Dortmund und Hamm nach Soest. Der Zug ist rappelvoll. Reichlich Fußball-Fans. Champions-League. Zwei grölen besonders laut. Es sind Schotten, die das Spiel Glasgow gegen Gladbach gesehen hatten. Irgendwann reicht mir der Lärm. „Loud but ugly“, sage ich zu ihnen. Das finden sie nun gar nicht nett. Werden immer stummer. Schließlich sitzen sie im Gang und schlummern fest dank des reichlich genossenen Gersten-Smoothies.

In Kamen ist unsere Reise plötzlich zu Ende. Ein Stellwerk ist kaputt. Erneut gestrandet. Weiter geht’s mit dem Taxi nach Hamm und irgendwann sind wir auch mal daheim am Möhnesee. Fast 24 Stunden auf Achse. Das reicht dann auch. Aber, schön war es trotzdem und die Pläne für die nächste Reise im März stehen schon. Ich freue mich drauf. Noch 105 Tage…